Frei wie ein Vogel

Fliegen war schon immer ein Drang der Menschen - ein Drang nach Freiheit. So fliegen auch Gleitschirmflieger heute frei durch die Lüfte über den Alpen. Wir haben einen erfahrenen Tandempiloten bei einem Flug begleitet.  

Eine Reportage von Keira Noll und Lia Studer

Es ist halb neun Uhr morgens und wir warten beim Treffpunkt der Firstbahn auf Pascal Imhof, die anderen Piloten und auf die Passagiere für den ersten Gleitschirmflug an diesem Tag. Der Himmel ist verhangen und die Luft ist kalt. Während bei uns, den Reporterinnen dieser Reportage, die Motivation auf dem Weg nach Grindelwald durch das schlechte Wetter gesunken ist, sieht Pascal Imhof energiegeladen aus und empfängt uns mit einem Lächeln. Die Inspiration fürs Gleitschirmfliegen sei gekommen, als Pascal mit einem Kollegen zusammen geflogen sei. Er habe erkannt, dass dies eine Möglichkeit biete, mit einem Hobby Geld zu verdienen.  

Treffpunkt bei der Firstbahn (Bild: Lia Studer) 

In diesen neun Jahren, in welchen Pascal nun schon Passagierinnen den Berg runterfliegt, hat er einiges an Erfahrung gesammelt. Nebst dem Fliegen sind nämlich auch andere Dinge am Beruf eines Gleitschirmpiloten wichtig: Zum Beispiel die Vorbereitungen, bevor man sich mit seinen Kunden trifft. “Allgemein checkt man das Wetter am Morgen und beobachtet es den ganzen Tag”, erläutert uns der erfahrene Gleitschirmpilot, welcher vor seinem Flug mehrere verschiedene Wetterapps und Webseiten checkt. Dazu gehört unter anderem das DABS.  

Was ist das DABS? 

Das DABS steht für Daily Airspace Bulletin Switzerland. Vor jedem
Arbeitstag checkt Pascal Imhof diese offizielle Website der Schweiz,
worauf verschiedene Luftraumeinschränkungen grafisch notiert sind. Die
Website zeigt aktuell an, in welchem Fluggebiet es 
erlaubt ist zu fliegen. Jedoch zeigt das DABS nicht nur den Bereich an,
sondern auch die Höhe. Zum Beispiel kann es sein, dass der Luftraum ab
einer bestimmten Höhe geschlossen ist. Dies ist wichtig zu beachten, da 
es verboten ist, diesen Raum zu passieren. Dies gilt nicht nur für
Gleitschirmflieger, sondern auch für Drohnen und Segelflugzeuge. Eine
solche Einschränkung kann zum Beispiel eine Übung der Armee sein, das
Lauberhornrennen oder ein Gefahren- beziehungsweise Sperrgebiet. Vor jedem
Flug ist es wichtig, diese aktuellen Einschränkungen zu prüfen und
sicherzustellen, dass man in sicherem und erlaubtem Bereich fliegt.

Wolkenverhangene Aussicht 

Eine halbe Stunde später sind alle Passagiere pünktlich zu ihrem Flug erschienen und haben sich angemeldet. Von einem koreanischen Paar über einen älteren Herrn haben sich die unterschiedlichsten Leute zusammengefunden. So begrüsst ein Kollege von Pascal Imhof alle Anwesenden auf Englisch. Er erklärt uns kurz und grob den Ablauf von hier bis zum Landeplatz. Zusammen mit der Gruppe gehen wir zu den Schaltern, um Billette für die Gondelfahrt zu kaufen, da diese nicht im Flug mitinbegriffen sind. Bei der Gondel warten alle Tandempiloten bereits. Sie teilen die Gruppe auf und gehen selbst alle zusammen mit ihren riesigen Rucksäcken in eine 6er-Gondel. Pascal Imhof setzt sich zu uns in eine und mit einem Ruckeln fahren wir los. Das Ziel: First, 2150m ü. M. In der nächsten Zeit ist es ruhig. Wir beobachten, dass Pascal seinen Blick immer wieder aus dem Fenster schweifen lässt. Als wir seinem Blick folgen, fühlen wir uns bereits etwas unwohl. Wir leiden beide unter Höhenangst und werden deshalb auf festem Boden verweilen. Pascal Imhof hingegen wirkt gelassen. Es sieht so aus, als ob der erfahrene Gleitschirmpilot das Wetter beobachte. Auf Nachfrage bestätigt er unsere Vermutung. “Ich versuche so sicher wie möglich zu fliegen und zu starten. Dazu beobachte ich auch stets das Wetter, denn es ist nicht so, dass ich in der Gondel zum Startplatz nur am Sitzen bin!” Auch wenn heute kein bewölkter Tag wäre, schaue er trotzdem beispielsweise, ob ein Gewitter aufziehe oder ob der Wind so sei, wie die Wetterapps gemeldet haben.  

Nach ungefähr 25 Minuten und zwei Zwischenstationen kommen wir bei der Endstation First an. Wir sind die Letzten der Gruppe und können sofort zum Startplatz los Die anderen in unserer Nähe scheinen, ihren Blicken zufolge, langsam nervös zu werden. Wir wären es wohl auch. Aufgrund der vielen Wolken sehen wir all die Berge um uns herum nicht.  

Nervosität im Anflug 

Nach nur drei Minuten Laufen kommen wir beim Startplatz an. Wir hätten uns diesen im Voraus anders vorgestellt: abgesperrt oder ein extra gebautes Gelände. Der Startplatz sieht jedoch aus wie jeder andere grosse, schneebedeckte Hügel. Nur, dass dieser Hügel in einem steilen Abhang endet. 

Startplatz mit Schnee und bewölktem Wetter (Bild: Keira Noll) 

Die meisten aus der Gruppe sind mindestens zu zweit hier, nur ein älterer Herr scheint ohne Begleitung zu sein. Wir stehen in einem Halbkreis mit der Gruppe zusammen, gerichtet gegen den Abgrund. Der Pilot, welcher uns schon an der Talstation die Einführung gegeben hat, verteilt die Gäste um uns herum an die anderen Piloten und sich selbst. Man bucht bei Paragliding Jungfrau online und weiss nicht, mit wem man fliegen wird. Eine Ausnahme gibt es, falls man jemanden von den Gleitschirmpiloten kennt und bei der Buchung angibt, dass man mit dieser Person fliegen möchte. 

Unterdessen haben sich alle Passagiere zu ihren Piloten gesellt und Pascal Imhof winkt uns zu sich herüber. Bei sich hat er den älteren Mann, welcher uns vorhin schon aufgefallen ist. Der Hügel ist lang genug, damit alle Piloten gleichzeitig den Schirm auspacken und auslegen können. Die Sicherheit sei das oberste Gebot bei den Gleitschirmpiloten, erzählt uns Pascal, während er den Schirm auslegt. Dafür habe er Checklisten, die er vor dem Start einhalte, sodass er alles immer kontrolliere. Bei der Startvorbereitung gebe es einen sogenannten Fünfpunkte-Check, fährt der Pilot fort, dabei kontrolliere er beim Auslegen das gesamte Material und unmittelbar vor dem Start erfolge eine erneute Kontrolle. “Auch wenn wir schon tausend oder zweitausend Flüge gemacht haben, kontrollieren wir alles Material (den Schirm und die Gurte), wie ein Pilot sein Flugzeug auch kontrolliert. Und schauen, dass die Windrichtung stimmt und der Luftraum okay ist.”  

Abflug nach Sicherheitschecks 

Alle Checks sind abgeschlossen, jetzt muss Pascal Imhof noch den älteren Herren einweisen. Es dauert nicht lange, da er ihm nur erklärt, wann der ältere Mann laufen, rennen und absitzen solle. Das klingt einfach, doch uns ist aufgefallen, dass er beim Laufen Schwierigkeiten hat. Pascal ist dies auch aufgefallen. Wir entfernen uns jetzt von der Startbahn und sehen ihnen aus sicherer Distanz zu. Pascal Imhof hat sich währenddessen einen weiteren Piloten zur Hilfe geholt, da der ältere Herr es allein nicht schaffen würde. “Haben Personen beispielsweise körperliche Probleme durchs Alter oder durch eine Knieverletzung, sind sie daher nicht gut zu Fuss unterwegs. Darum gibt es die Möglichkeit, dass wir Piloten einander Starthilfe geben. Hierbei unterstützt jemand den Passagier und sorgt dafür, dass dieser beim Start trotzdem gut mitläuft und die Person nicht zu früh absitzt oder sonst etwas Falsches macht”, erzählt der erfahrene Tandempilot uns später beim Interview. 

Es gehört zu unserem Job einfach dazu, dass man noch einen Passagier vorne dranbindet!
~Pascal Imhof, Tandempilot 

Jetzt geht alles rasant: Zuerst zieht Pascal seinen rot-weissen Schirm hoch, kaum ist das passiert, beginnen beide zu rennen und nur ein paar Schritte später heben sie bei einer Höhe von 2150m ü. M. ab. Die beiden werden dank dynamischem Wind oder der Thermik ungefähr 40-50 Minuten in der Luft sein, was uns ermöglicht, sofort wieder die Gondel zu besteigen, um rechtzeitig die Landung unten im Tal mitzuerleben. Ein solcher Flug kostet 330 Franken, es gibt auch die Möglichkeit, einen zwanzigminütigen Flug für 210 Franken zu buchen. 

Pascal Imhof mit einer Passagierin in der Luft bei schönerem Wetter (Bild: Pascal Imhof) 
Interview mit Pascal Imhof 

Du übernimmst die Verantwortung für ein zweites Leben, was macht das mit
einem? Oder was macht das mit dir? 

Pascal Imhof: Es gehört zu unserem Job einfach dazu, dass man noch einen
Passagier vorne dranbindet. Ich versuche, jeden Flug und jeden Start gut
vorzubereiten, und somit das Risiko, dass etwas passiert, zu minimieren.
Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst. Wie gesagt: Ich versuche, so
sicher wie möglich zu fliegen und zu starten. Dazu beobachte ich auch
stets das Wetter, denn es ist nicht so, dass ich in der Gondel hoch zum
Startplatz nur am Sitzen bin. Ich beobachte das Wetter durch das Fenster!
Dabei achte ich beispielsweise darauf, ob ein Gewitter aufzieht oder ob es
windiger ist als gemeldet usw... Meiner Meinung nach kann ich mit diesem
Risikomanagement das Ganze so weit beeinflussen, dass die Verantwortung
für ein zweites Leben tragbar ist. 

Gibt es irgendwelche besondere Momente oder Erlebnisse während deiner
Tätigkeit als Tandempilot, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?  

Pascal Imhof: Was mir täglich in der Erinnerung bleibt, ist die Freude der
Leute nach einem Flug. Viele Leute sagen auch, dass es das Schönste sei,
was sie bisher erlebt haben, oder dass es der Höhepunkt ihrer Reise in der
Schweiz sei. Von den Passagieren gibt es immer ein grosses Dankeschön.
Etwas vom Schönsten ist es, wenn ich mit Passagieren mit dem Adler oder
dem Bartgeier mitfliegen kann und diese teilweise nur zehn Meter von uns
weg sind. Allgemein ist jeder Flug auch noch für mich schön, da jeder Flug
anders ist und die Bedingungen jedes Mal wechseln - es ist wirklich jeden
Tag interessant zu fliegen.

Eine überwältigende Stimmung 

Wir eilen zum Landeplatz. Von der Talstation sind es nur fünf Minuten Fussweg bis zu der grossen Wiese. Dort sehen wir auch schon die ersten Gleitschirmpiloten mit ihren Gästen, die wieder festen Boden unter den Füssen haben. “Was mir täglich in Erinnerung bleibt, ist die Freude der Leute nach einem Flug”, erzählt uns Pascal Imhof in einem späteren Interview. Diese überwältigende Stimmung empfängt uns, als wir das Lächeln der gelandeten Passagierinnen sehen. 

Der Landeplatz mit drei Gästen und zwei Piloten (Bild: Lia Studer) 

Einige Minuten später sehen wir auch schon Pascal, wie er mit seinem Gast zur Landung ansetzt und sanft auf dem Boden landet. Dabei zieht er an den Leinen des Gleitschirmes, der daraufhin auf den Boden sinkt. Nachdem Schirm und Leinen wieder im Rucksack verstaut sind, bietet Pascal seinem Gast die in der Luft gemachten Fotos und Videos zum Kauf an. Kurz darauf begeben wir uns zusammen zurück zum Treffpunkt bei der Firstbahn. 

“Von aussen sieht es aus wie ein Geniesser-Job, aber es ist ein Knochenjob mit viel Arbeit dahinter.”
~Pascal Imhof, Tandempilot 

Je nach Saison fliegt Pascal Imhof zwischen fünf und sieben Flüge pro Tag. Im Winter sind es maximal fünf Flüge, da die Anzahl Flüge von den Öffnungszeiten der Bergbahn und von dem Tageslicht abhängig sind, während es im Sommer bis zu sieben Flüge sind.  Je nach Wetter kann es aber auch null Flüge am Tag geben. “Von aussen sieht es aus wie ein Geniesser-Job, aber es ist ein Knochenjob mit viel Arbeit dahinter”, teilt uns Pascal Imhof mit. Laut ihm sei das Gleitschirmfliegen ein Traumjob. Jedoch sei der Beruf anstrengend und belastend, sowohl körperlich als auch psychisch im Kopf. Zum einen müsse man bis zu sieben Male am Tag starten, landen und fliegen, was physisch sehr hart sein kann, und zum anderen müsse man bei jedem Flug wichtige Entscheidungen in teilweise Sekundenbruchteilen fällen und aus nicht idealen Bedingungen das Beste herausholen. “Man merkt am Abend wirklich, was man getan hat”, fügt er hinzu, während wir schon wieder am Treffpunkt der Firstbahn sind. Hier versammeln sich schon langsam die Gäste für den nächsten Flug. Nach einer kurzen Verabschiedung läuft Pascal Imhof auf die bereitstehenden Passagiere zu. 

Im Jahr 2022 gab es laut dem Schweizerischen Hängegleiter-Verband, kurz SHV, in der Schweiz 100 Unfälle und Zwischenfälle im Bereich des Gleitschirmfliegens. Acht davon endeten fatal. In den Kurzberichten über die Unfallhergänge aus den Jahren 2021 bis 2024 (stand 9.05.24) fällt etwas “Positives” auf: Insgesamt ereigneten sich nur zwei Unfälle während touristischen Tandemflügen und in beiden Fällen wurde keine Verletzungen festgestellt. Wir haben gesehen, dass es keinen Grund gibt sich zu fürchten, denn die Sicherheit und das Wohlbefinden der Passagiere steht bei den Gleitschirmpiloten an erster Stelle. Die Piloten sind sich den Risiken bewusst und bestreiten jeden Flug mit voller Konzentration. Vielleicht werden wir uns eines Tages trotz unserer Angst überwinden und einen solchen Flug wagen.  


Quellen:  

Seite des Daily Airspace Bulletin Switzerland:  https://www.skybriefing.com/de/dabs 

Seite des SHV – Unfallmeldungen: https://www.shv-fsvl.ch/fluggebiete-sicherheit/sicherheit/unfallmeldungen/